Vor einigen Wochen fand in Essen die nunmehr xx34 “Techno Classica” statt, und die Ausstellergemeinschaft der deutschen Citroën-Clubs, die “Citroën-Strasse”, präsentierte dort im Rahmen auch anderer Jubiläen von Citroën die “75 Jahre Kommerzialisierung” des Citroën 2CV, der “Ente”.
Eines der dort präsentierten Modelle stammt aus der historischen Sammlung der Marke, dem “Conservatoire Citroën”, gelegen vor den Toren von Paris. Das als “toute petite voiture”, TPV, bekannte Fahrzeugkonzept, aus dem später dann der 2CV entstand, war Hingucker für viele Besucher auf der Messe und erregte besondere Aufmerksamkeit. Grund genug, einen etwas detaillierteren Blick auf das Fahrzeug und seine Geschichte zu werfen… und es gehört auch etwas Spannung und Abenteuer dazu: der TPV war über viele Jahre quasi vergessen und wurde dann wieder entdeckt.
Und das war so: im Jahr 1994 kam eine alte, leicht verrostete Felge auf den Tisch der Kommunikationsabteilung mit der Frage des Überbringers, ob Interesse an dem Objekt bestünde. Keiner konnte dort überhaupt etwas mit diesem Teil anfangen, man zuckte mit den Schultern, und fragte dann unter den Dienstälteren nach – einer schließlich konnte das den frühen 2CV-Prototypen zuordnen, die dann Anfang der 1930er Jahre entwickelt wurden, und in diversen Konzeptstudien als Versuchsträger realisiert wurden (mit Wasser-, mit Luftkühlung, mit diversen Aufhängungen, unterschiedliche Gangschaltungen und Getriebeübersetzungen etc.).
Blicken wir also noch weiter zurück.
Das Bild vom 25. August 1939 zeigt u.a. den Testpiloten Pierre Terrasson, der mit den vielversprechendsten Konzepten, die in Kleinserien umgesetzt wurden, Testfahrten unternahm; die Hochphase war dann Mitte der 1930er Jahre. Im Bild sind einige zu sehen, die „W“ Kennzeichen zeigen, daß nicht nur auf dem Testgelände in La Ferté-Vidame die Prüfungen stattfanden, sondern auch mit Sonderzulassung auf öffentlichen Strassen gefahren wurde – und das übrigens Tag und Nacht… das rechte Fahrzeug war mit einem 375ccm Motor, 9PS, Vmax 70km/h, 400kg Zuladung ausgestattet, und gilt als „Prototype Terrasson“.
Am 2. September 1939 war ein auf Terrasson-Basis weiterentwickeltes, produktionsfähiges Vorserien-Fahrzeug fertiggestellt, und einen Monat vorher gab es die „PV des Mines“ Zulassung (vgl. der KBA-Zulassung in D), aber die für Oktober 1939 geplante Präsentation auf dem Pariser Automobilsalon konnte wegen Kriegsbeginn nicht mehr stattfinden. Dieses „quasi kommerziell erhältliche“ Vorserien-Urenten-Modell ist das, was dann auch auf der Techno Classica ausgestellt wurde (ich wählte es aus diesem Grunde aus…).
Zur Ausstattung:
Im Inneren ist ein Lenkrad, das dem des 2CV von 1948 sehr ähnlich ist, sowie ein schwarzer Zugschalter für die Beleuchtung. Die Ausstattung beschränkt sich auf ein Ampèremeter, das links von einem Schalter für die Zündung und rechts von einem Anlasser-Seilzug umgeben ist. Der Hebel für die 3 Gänge (3. Gang als „Overdrive“ ausgelegt, durch den 2. Geschaltet) kommt direkt aus dem Armaturenbrett. Der Innenraum des Wagens zeigt eine gravierende Modifikation des Gangwechselsystems mit einer H-förmigen Schaltung. Auf der Motorhaube ist ein großes Double-Chevron-Logo eingeprägt. 16 Aluminium-Rippen sind mit einer Innenverstärkung versehen, die das Innenblech hält, und sorgen so für den Einlaß der notwendigen Kühlluft, die über einen Deflektor auf den Kühler geleitet wird. Die Fußbremse wirkte über einen hydraulischen Kreislauf nur auf die Vorderräder (Technik wie beim Traction). Die Handbremse wirkte nur über Seilzüge auf die Hinterräder.
Der Scheibenwischer wird noch rein manuell über eine kleine Kurbel von innen betätigt; noch gibt es weder einen Elektromotor noch eine andere mechanische Lösung wie beispielsweise den später realisierte, über die Tachowelle angetriebene Variante. Um die vorderen Türen zu öffnen, muss man noch das seitliche Klappfenster öffnen, und nach innen greifen, um den Türgriff zu drehen. An der Innenseite der Türen befindet sich eine einfache Stoff-Verkleidung (ähnelnd dem Stoff, der im Traction Avant für den Dachhimmel verwendet wird); dieser wird seitlich ab den Rücksitzen bis zur Windschutzscheibe auf das Aluminiumblech geklebt. Die auf den ersten Blick einfach konstruierten, aber anatomisch sehr bequemen Sitze erinnern eher an die Luftfahrt: das obere Aluminiumrohr wird von zwei von der Decke hängenden Drähten gehalten. bestehen aus sehr starkem Draht, der in einer Nut befestigt ist. Die oberen und unteren Rohre, die die vordere Hängematte halten, bestehen aus Aluminium ohne seitliche Anschläge. Das Verdeck kann voll aufgerollt werden und wird mit Druckknöpfen befestigt.
In schwarzer Farbe kann man im Kofferraum lesen, dass man nicht mehr als 50 kg Gepäck mitnehmen sollte (was sich übrigens auch für viele Jahre in den späteren A-Modellen wieder findet).
Die Produktion beginnt.
Aus dem Protokoll der ersten Sitzung des Citroën-Verwaltungsrats, die unter deutscher Besatzung stattfand, geht eindeutig hervor, dass damals 100 Exemplare des 2CV im Umlauf waren. Die Fabrikanlagen im 2CV-Werk in Levallois hatten bereits die ersten Fertigungselemente am Fließband eingerichtet, um 2CV-Fahrzeuge zu montieren, und man plante für eine Fertigung von rund 50 Fahrzeugen pro Tag.
Doch der zweite Weltkrieg bedeutet das Ende der gerade eben anfangenden Produktion. Das Fließband wurde für die Fertigung militärischer Ausrüstung beschlagnahmt und die im Bau befindlichen TPVs wurden in Levallois zurückgelassen. Generaldirektor Pierre Jules Boulanger wollte jedoch nicht, dass seine Idee von den Besatzern aufgegriffen wurde. Die Deutschen wollten mehr über sein Projekt erfahren, doch er lehnte alle Vorschläge für eine Zusammenarbeit und Wissenstransfer ab. Im August 1939 schickte er Fahrzeuge zum Testen an Michelin bzw. deren Testgelände in Clermont-Ferrand, sowie an das bekannte Testgelände in La Ferté Vidame im Departement Eure et Loir, und damit zu einem 900ha großen Testzentrum, das die Marke ein Jahr zuvor, im November 1938, für 5 Millionen Franc erworben hatte.
Ein Großteil der insgesamt 250 gebauten Vorserien-Fahrzeuge wurde zerstört, um sie der mgl. Rekuperation durch Besatzer zu entziehen. Nur drei der vielversprechendsten Konzeptstudien wurden eingelagert. Aber nicht in einer Scheune, wie es mancherorts romantisiert verklärt kolportiert wurde, sondern in einem der Wirtschaftsgebäude in La Ferté-Vidame; im Dachboden eingelagert, wäre keine unmittelbare Rekuperation möglich – und letztendlich wurden sie dort belassen, nur das ein oder andere Teil für die weiteren Prototypen verwendet… und vergessen, da man mit noch weiteren Modellen die Entwicklung fortführen konnte und diese nicht mehr benötigt wurden.
1942 wurde der (in kleinerem Umfang während des Kriegs weiterentwickelte) Prototyp „Cyclope“ intern vorgestellt, und in den Folgejahren weiter verfeinert.
1947 zeichnete Flaminio Bertoni (der übrigens für alle 2CV Entwürfe verantwortlich war) diesen, quasi seriennahen Entwurf.
1948 dann war die Präsentation auf dem Pariser Automobilsalon; 1949 die Kommerzialisierung des 2CV, die man auf der Techno Classica 2024 dann feierte.
Als 1994 nun die Felge auftauchte, machte sich eine Delegation unter Leitung des damaligen Chefs der Kommunikationsabteilung, Jacques Wolgensinger, auf nach La Ferté-Vidame, und man ging mit dem Ortskundigen dann nach oben und fand die Fahrzeuge dort auf dem Dachboden vor – verstaubt, Verdecke und Sitze verrottet, viele Teile bereits demontiert – aber das Wesentliche war noch erkennbar.
Das zweite Modell, im Bild ohne Scheinwerfer und ohne Motorhaube zu sehen, wurde mechanisch nicht weiter „kannibalisiert“. Es gibt keine Abnutzungsspuren an den Reifen oder am Fahrgestell, das sehr sauber ist. Man könnte damit spekulieren, daß er höchstens bei regenfreiem Wetter auf der Straße von der 2CV-Fabrik in Levallois nach La Ferté-Vidame gefahren sein könnte. Im Inneren ist es allerdings sehr unvollständig. Es wäre also erhalten geblieben, weil es in einem quasi neuen Zustand war.
Das dritte Modell, ohne Scheinwerfer, ist wie der 2CV ohne Motorhaube und ohne Scheinwerfer komplett in „armeegrün“ lackiert. Die Innenausstattung des 2CV ist die vollständigste und am besten erhaltene der Modelle. Die Mechanik dieses 2CV ist ziemlich kannibalisiert, scheint aber nie oder nur sehr selten benutzt worden zu sein. Die beiden „Hängemattenbänke“ sind fast vollständig erhalten und haben jeweils ein breites Kissen mit zwei Längsnähten. Der 2CV scheint nie gefahren worden zu sein, seine Michelin Pilote 125×400 Reifen sind neu und die Innenseiten der Kotflügel sowie die gesamte Unterseite des Autos sind so sauber, wie es für Neuwagen typisch ist. Von den drei Autos ist es das einzige mit einem intakten Verdeck. Die Kotflügel aus Blech haben der Zeit weit weniger standgehalten als die anderen Karosserieteile aus Aluminium.
Das vierte Fahrzeug, ohne Türen, aber mit zwei Scheinwerfern und einer Motorhaube ausgerüstet. Das Verdeck befindet sich leider in einem sehr schlechtem Zustand.
Ein fünftes Modell existiert noch im Henri-Malatre-Museum in der Nähe von Lyon; es ist eines der in Clermont-Ferrand (Michelin-Testgelände) verbrachten Modelle.
Ein weiteres Modell, das den Urenten ähnelt, wurde nachgebaut und ist in niederländischem Privatbesitz, ist aber keines der originalen Fahrzeuge.
Man hat aber erst mal die restlichen Fahrzeuge dort belassen. Jacques Wolgensinger trug die Geschichte des 2CV in einem 1995 erschienenen Büchlein vor, und erwähnte darin erstmalig die Existenz der kurz zuvor entdeckten Urenten.
Im Rahmen des anstehenden 50-Jahre-Jubiläums des 2CV, 1948-1998, wurde dann beschlossen, 1997 die Fahrzeuge aus dem Gebäude zu holen. Man hat das aber eher in einer „Nacht-und-Nebel-Aktion“ durchgeführt, und insbesondere versäumt, dieses durchaus als „Fahrzeug-archäologische Sensation“ entsprechend markentechnisch kommerziell auszuschlachten – eine wirklich verpasste Gelegenheit für die Marke.
Einer derjenigen, die dieses Jahrhundertereignis begleiten wollten, war Fabien Sabatès, Herausgeber der „Citropolis“ Zeitschrift. Er wurde allerdings nicht eingeladen – ganz im Gegenteil: man beschimpfte ihn als diebische Elster, die aus diesem Vorgang nur für sich selbst kommerziellen Nutzen in seinem Journal erzielt hätte. Die Marke behielt diese Sensation lieber für sich…
1998 kamen drei der “Urenten” übrigens zur “AMI” (Automobil International) Messe nach Leipzig, und waren dort erstmalig im Ausland ausgestellt.
Zurück zur Techno Classica 2024 – und zu der dort ausgestellten “Urente”. Der bekannte Kabarettist und Ehrengast der “Citroën-Strasse” Jürgen Becker war vom TPV so begeistert, daß er das Fahrzeug in einem detailierten Bericht betrachtet, den wir hiermit gern weiterleiten:
Viel Spass beim Betrachten!